17.03.2011

au!20 - Tagesordnung

Er sagte: "Dann bin ich durch das Dorf. Aber das Wetter ist, wie der Lehrer sagt, blödsinnig. Jetzt sterben überall Neugeborene. Notschlachtungen sind an der Tagesordnung. Ständig habe ich den Metzger kommandieren hören. Die Holzpantoffeln schlugen an die Blutkübel. Es funkelte nur so von Gedärm, das er aus dem Kalb herauszog. Dieser warme, süßliche Geruch! Sie schlagen sie noch nieder, weigern sich, sie zu erschießen, wie man das schon überlall macht. Der eine hält es bei den Ohren und am Schwanz, der andere haut ihm mit dem Schlegel auf den Kopf. Sie kennen sicher das Geräusch, wenn ein tödlich getroffenes Vieh zusammenstürzt auf den Schlachthausboden. Die Berge sind plötzlich so nah, dass man glaubt, mit dem Gehirn anzustoßen. Im ganzen Dorf liegen Haarbüschel herum, Hautfetzen. Ich sage, sie sollen das wegräumen, die Blutlachen zudecken mit Schnee, aber sie denken gar nicht daran. Auf dem Land sind immer alle Wege voll Blut.
(T. Bernhard: Frost)